Lesezeit: ca. 6 min
“Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.”
Dieses Sprichwort hast bestimmt auch Du schon einmal gehört oder selbst gesagt. Im Erwachsenenalter etwas Neues zu lernen hat vielfach den Ruf, schwierig oder sehr viel anstrengender zu sein, als es als Kind oder im jugendlichen Alter der Fall gewesen ist.
Italienisch lernen mit 40? Noch mal zur Schule gehen oder ein Fernstudium beginnen mit 32 Jahren? Ein neues Hobby lernen im Rentenalter?
Für viele geht an dieser Stelle bildlich gesprochen sofort eine geistige Mauer zu. „Im Alter geht das doch nicht mehr so einfach!“ oder eben: „Was Hänschen nicht gelernt, lernt Hans nimmermehr…“.
Doch sind wir wirklich irgendwann zu alt zum Lernen?
Haben wir die Chance auf etwas Neues verspielt, wenn wir es nicht schon in der Kindheit oder Jugend gelernt haben?
In diesem Artikel möchte ich Dir erklären, was Neuroplasitizität ist und wie die Kenntnis darüber Dir helfen kann, Dich von veralteten Glaubenssätzen zum Thema Lernen und Veränderung abzulegen.
Die klare und eindeutige Antwort auf die beiden obigen Fragen vorweg: Nein – keinesfalls!
Und die Begründung dafür liegt in der NEUROPLASTIZITÄT – also der Tatsache, dass unser Gehirn nicht statisch ist, sondern sich ständig anpasst und dauerhaft veränderungsfähig und -willig ist.
Beginnen wir zunächst mit ein paar Grundlagen über die Funktionsweise unseres faszinierenden Gehirns:
Für die Reiz- und Informationsweiterleitung verfügt unser Körper über ein komplexes Nervensystem, mit dem Gehirn als wichtigste und zentrale Schalt- und Steuerzentrale. Aufgebaut ist das Nervensystem aus vielen Nervenzellen, den Neuronen. Unser Gehirn verfügt nach aktuellem Stand der Forschung über etwa 86 Milliarden Neuronen (vgl. Wurm, 2015; Azevedo et al., 2009). Doch noch viel wichtiger für das Funktionieren des zentralen Nervensystems, als die reine Anzahl an Nervenzellen, sind die Verbindungen zwischen ihnen. Neuronen sind über ein engmaschiges Netzwerk miteinander verbunden. So kann eine einzige Nervenzelle mit tausenden anderen Neuronen verknüpft sein. Diese Verknüpfungen mit anderen Zellen erfolgen über sogenannte Synapsen. Für die Informationsweiterleitung werden über die Neuronen und deren Verknüpfungen elektrochemische Signale gesendet. Diese elektrischen Impulse werden beispielsweise auch mit einem EEG (Elektroenzephalogramm) zur Messung von Hirnaktivitäten erfasst.
Neuronen sind ständig im Wandel
Das neuronale Netzwerk ist alles andere als ein starres Konstrukt. Verknüpfungen werden ständig neu hergestellt. Alte, unbenutzte Verbindungen werden abgebaut oder bei häufigerer Nutzung wieder verstärkt – und das ein Leben lang! Genau diese Vorgänge beschreibt schließlich auch der Begriff Neuroplastizität: Die Fähigkeit des Nervensystems, seine Organisation zu modifizieren (Sagi et al., 2012).
Das Gehirn eines Menschen macht ca. 2 % der Körpermasse aus. Mit einem Verbrauch von ca. 20 % der Gesamtenergie im Ruhezustand, handelt es sich beim Gehirn allerdings um einen – für seine Masse – wahren Energiefresser (vgl. Attwell & Laughlin, 2001). Es ist also vollkommen nachvollziehbar, dass an dieser Stelle unser Körper versucht das Prinzip des Energiesparens anzuwenden. Und diesem Energiesparen fallen ausgerechnet unsere neuronalen Verknüpfungen zum Opfer. Nach dem Leitsatz des Titels „use it or loose it“ werden daher stetig Verknüpfungen, die wir nicht gebrauchen aufgehoben. Vergleichbar ist das mit unseren Muskeln: Wenn wir unsere Muskeln durch mangelnde Bewegung nicht regelmäßig benutzen oder gezielt trainieren, wird auch hier der Körper das Energiesparprinzip anwenden, denn:
Was wir nicht benutzen, gibt unserem Körper keinen Anlass zum Erhalt.
Im Gegenteil; was wir nicht benutzen, wird reduziert, um Energie zu sparen – ob es sich dabei um Muskeln oder Neuronen handelt. Auch unser Gehirn will daher – genau wie gesunde Muskeln – regelmäßig trainiert werden.
Neuroplastizität ermöglicht es uns also, unser eigenes Gehirn zu modifzieren – und das ein Leben lang.
Dies beinhaltet die Möglichkeit des lebenslangen Lernens, aber auch die Möglichkeit, in jedem Alter Muster und Gewohnheiten zu brechen und neue zu etablieren.
Stellen wir uns einmal unser Gehirn als ein Straßennetzwerk vor. Hierbei wären all unsere Gewohnheiten und Routinen, die wir täglich nutzen, die Autobahnen. Dem hingegen wären Dinge, die wir gerade erst neu erlernt haben oder Gewohnheiten, die wir uns zu eigen machen wollen, nur kleine wenig ausgetretene Trampelpfade. Natürlich kommt uns der Weg auf den Trampelpfaden, verglichen zur Autobahn, erstmal unbehaglicher und anspruchsvoller vor. Da müssen wir uns noch durch Gestrüpp kämpfen und jeden Schritt achtsam und kontrolliert setzen, um nicht vom Weg abzukommen. Die Versuchung, einfach auf der glatt asphaltierten Autobahn weiter zu gehen ist groß!
Indem wir aber bewusst die neuen Trampelpfade gehen, haben wir die Möglichkeit diese nach und nach zu größeren Straßen bis hin zu Autobahnen auszubauen. Der Biologie ist es hierbei vollkommen egal wie alt Du bist oder wie lange Du Deine bisherigen Gewohnheiten bereits praktizierst.
Vorteile des Lernens im fortgeschrittenen Alter
Völlig gegensätzlich zu dem zu Beginn benannten Sprichwort, verfügt Hans sogar über einige Vorteile gegenüber dem kleinen Hänschen, wenn es um das Erlernen von neuen Dingen geht: So verfügen wir im Erwachsenenalter in der Regel über mehr Ausdauer, Geduld und Erfahrung (vgl. Fichtel). Wertvolle Ressourcen, die Hänschen sich im Laufe seines Lebens erst mühsam aneignen musste.
Du hast immer das Potential zur Veränderung!
Du bist niemals zu alt etwas Neues zu lernen oder alte Muster und Gewohnheiten zu brechen!
Dein Gehirn verfügt über alle Möglichkeiten, die es zur Veränderung und zum Neulernen braucht. Du musst Dich also nicht einem vermeintlich besiegeltem Schicksal ergeben, sondern kannst jeden Tag aufs Neue entscheiden, Dein Leben in die Hand zu nehmen und nach Deinen eigenen Vorstellungen zu gestalten! Es ist niemals zu spät damit anzufangen.
Natürlich benötigen Veränderungen – vor allem am Anfang – mehr Energie und Aufmerksamkeit, als dies bei den alteingefahrenen Mustern der Fall ist. Gewohnheiten und Routinen dienen ja eben auch dem Zweck des Energiesparens, daher ist es sogar deren Sinn, in Automatismen zu funktionieren, um uns unseren Alltag ganz bedeutend zu vereinfachen.
Es gibt zahlreiche Techniken aus der Verhaltensforschung und auch -Therapie, die Du Dir zu nutze machen kannst, wenn Du Deine Gewohnheiten nachhaltig verändern willst. Um eines kommst Du dabei aber nicht herum: Geduld und Ausdauer.
Bis sich im Gehirn neue Verknüpfungen ausgeformt und stabilisiert haben, benötigen wir eine Zeit der Aufmerksamkeit in der das neue Muster bewusst und mit zusätzlichem Energieaufwand am besten täglich eingeübt wird. Doch Dranbleiben zahlt sich aus!
Veränderungen, die erst einmal fest im Alltag und dann auch in Deinem neuronalen Netzwerk im Gehirn verankert sind, können genauso zu Automatismen werden und Dir langfristig das Leben enorm erleichtern (denke an dieser Stelle nur einmal ans Autofahren oder Zähneputzen…)!
Um Veränderungen in Deinem Leben erfolgreich umzusetzen kann es durchaus hilfreich sein, Dir einen kompetenten Coach oder eine Mentorin an die Seite zu holen. Manchmal brauchst Du jemanden, mit dem Du verbindliche Vereinbarungen treffen, der Dich in kritischen Zeiten unterstützen oder Dir auch mal einen „liebevollen Arschtritt“ mit ehrlichem Feedback geben kann. 😉
Wenn Du tatsächlich bereit bist, Dein Leben neu zu sortieren und endlich selbstbestimmter zu gestalten, indem Du alte Gewohnheiten loslässt und mit bewussten Entscheidungen durchstartest, dann schreibe mir sehr gerne über das Kontaktformular, um ein unverbindliches, kostenloses Beratungsgespräch zu vereinbaren.
Jeden Monat arbeite ich mit einer begrenzten Anzahl von Personen individuell und intensiv zusammen, die ihre Ziele erreichen möchten.
Ich freue mich auf Deine Nachricht oder Bewerbung!
Herzlichst
Elina
Quellen
Attwell, D., & Laughlin, S. B. (2001). An energy budget for signaling in the grey matter of the brain. Journal of Cerebral Blood Flow & Metabolism, 21(10), 1133-1145.
Azevedo, F. A., Carvalho, L. R., Grinberg, L. T., Farfel, J. M., Ferretti, R. E., Leite, R. E., … & Herculano‐Houzel, S. (2009). Equal numbers of neuronal and nonneuronal cells make the human brain an isometrically scaled‐up primate brain. Journal of Comparative Neurology, 513(5), 532-541.
Fichtel, J. (2019). “Psychologie: Was Hänschen nicht lernt..Sind wir irgendwann zu alt zum Lernen?“ arbeits-abc.de; zuletzt abgerufen am 24.03.20, 13.00 Uhr, unter: https://arbeits-abc.de/sind-wir-irgendwann-zu-alt-zum-lernen/#4
Sagi, Y., Tavor, I., Hofstetter, S., Tzur-Moryosef, S., Blumenfeld-Katzir, T., & Assaf, Y. (2012). Learning in the fast lane: new insights into neuroplasticity. Neuron, 73(6), 1195-1203.
Wurm, P. (2015). Wie viele Nervenzellen hat das Gehirn? zuletzt abgerufen am 18.04.2020, 19:00 unter: https://www.helmholtz.de/gesundheit/wie-viele-nervenzellen-hat-das-gehirn/
Fotos von: www.pixabay.com
One response
[…] bereits in einem meiner vorangegangenen Blogartikel lesen konntest (wenn nicht, dann ist hier der Link), ist dies kein für immer manifestierter Zustand, der sich nicht mehr rückgängig machen ließe. […]